"ES KOMMT AUF DIE STRAßE"

6) Die Stille zieht mich in sich hinein und ich löse mich auf

 

So fühlt es sich an, wenn ich "meditiere". Eigentlich meditiere ich gar nicht mehr, ich werde einfach von der Stille in die Stille gezogen, wann immer das dann zufällig passiert. Ich fühle das im Voraus, es kündigt sich etwas im Vorfeld an und dann lasse ich los und bin still oder in der Stille. Da sind auch manchmal Gedanken, aber die haben keine Wirkung und verschwinden dann wieder. Alles geht und ich fühle letztendlich einfach nur das Sein, das Leben. Wenn ich mich noch fragen sollte, wer oder was bin ich, dann bin ich das. Dieses Das ist immer dabei: in meinem Alltag, wenn ich tue, was ich tue, wenn ich nichts tue, es ist einfach immer da und beantwortet durch seine pure Existenz und subtile Schwingung die Sinnfrage 24 Stunden täglich. Ich spüre, dass die Leute um mich herum sich ein Bild von mir gemacht haben und auch an diesem festhalten. Dieses Bild habe ich ja auch jahrelang selbst kreiert. Aber auch damit hab' ich nichts mehr zu tun. Es ist verständlich. Ich bin da draußen ein Erscheinungsbild, das aus vergangenen Erfahrungswerten und inneren Projektionen von meinem Gegenüber "erdacht" wird. Ich werde erdacht, bewertet und eingeordnet. So what? Let the games begin! Es macht nichts, kann ja mal passieren... Ich liebe eine wunderschöne, wundersame interessante Frau, aber ich stelle ihr gegenüber nichts dar. Ich hab keine Ahnung, wie sie ist, aber ich liebe sie. Ich muss auch kein Bild von ihr haben; sie ist immer so, wie sie grad ist. Das reicht. Der Prozess des Ausmistens ist sehr intim für uns beide; auch das teilen wir miteinander. Wir haben uns so in den illusionären Urschmerz zwischen Mann und Frau zurückgeführt und die Illusion darin gesehen. Er löst sich auf, genau wie sie sich auflöst und ich mich auflöse, während wir innerlich dafür geliebt werden und einander lieben. Das Leben ist so anders als ich es immer gesehen oder erdacht habe; es ist neu jetzt und geht in die Tiefe. Ungehindert einer eigenen Vorstellung geschieht die Entfaltung; denn das Leben ist unvorstellbar geworden und ist einfach immer so, wie es sich grad zeigt. So wie die Frau, die ich liebe, und so, wie ich jetzt bin. Hab ich mir das Erwachen anders vorgestellt? Jepp. Aber das ist egal; denn so wie es ist, ist es perfekt. Man fällt ins Jetzt und ab dem Moment an fühlt man sich geborgen und wird sich auch in Zukunft geborgen, geliebt und innerlich verstanden fühlen aus sich selbst heraus, jetzt und jetzt und... Sollte ich nicht werden, wer ich "wirklich" bin? Ich hatte Vorstellungen davon, wer ich werden würde, wenn ich "wirklich" bin. Diese Vorstellungen entsprangen meiner Persönlichkeit, bevor sie zusammengebrochen ist wie ein Kartenhaus. Nach außen hin schön anzusehen dieses Kartenhaus, aber kein Bestand, kein Fundament, keine natürliche Statik. Illusionär. Eine selbstauferlegte konstante Gehirnwäsche, die mir eingeredet hat: "Das bin ich, das bin ich, das bin ich..." Auf der Seite des Suchenden hatte sich aus der Persönlichkeit heraus eine weitere Idee und Illusion gebildet, die des "wer ich wirklich" sein werde, wenn ich wirklich bin, wer ich wirklich bin - Illusion! Die bestätigt sich jetzt nicht und so kann ich berichten, wir suchen etwas, von dem wir keine Ahnung haben, wie es sein wird oder ist. Die Meister und Gurus locken uns mit ihrer spirituellen Romantik in etwas hinein, dass wir trotz ihrer gekonnten Rhetorik nicht verstehen und erfassen werden, bis wir plötzlich mitten drin stehen und feststellen, es hat mit dem Bild eines Spirituellen nichts zu tun. Wir können Parallelen entdecken, aber ob das jetzt Bhakti, Samadhi, Satori, Jesusbewusstsein oder Erleuchtung oder Erwachen oder sonst wie benannt wird, spielt keine Rolle. Es hat seine eigene Erscheinung als etwas, das so erfahren wird, wie es ist. Die Auflösung, die jetzt passiert, ist ein Prozess. Durch die Implosion der Persönlichkeit wurde sie in Gang gesetzt und wird etwas Zeit in Anspruch nehmen. Trotz allem, was geht, ist da ein Gefühl der Fülle. Trotz einer gewissen Orientierungslosigkeit ist da ein Gefühl der Fülle und des Geliebt- und Aufgehobenseins - ein Grundvertrauen. What ever may come, may come - what ever may go, may go. Es gibt auch Mitgefühl für all die, die noch bis über beide Ohren in ihrer Illusion und Gedanken und den daraus entspringenden Gefühlen stecken. Aber zumindest zurzeit spüre ich: ich kann daran nichts ändern. Mein geliebte Frau sagt: "Erlöse nicht die Welt, sondern erlöse dich von deinem Weltbild." Genau das geschieht jetzt. Erlösung vom Selbstbild und Weltbild, aber kein Plan B. Was wäre das sonst für eine radikale Auflösung, wenn im Hintergrund bereits das nächste Verwirklichungskonzept gestaltet würde? Es wäre halbherzig, unausgereift. Auflösung ohne Plan B. Aussichtslos? Nein: die Stille wird gesehen UND sie sieht alles, was noch einmal gesehen werden will, um sich zu verabschieden. Dieses Sehen ist DIE Aussicht jetzt. Durch dieses Ausfühlen und Auflösen lösen sich auch die Anhaftungen auf. Ich erfahre die Unabhängigkeit von äußeren Umständen. Der Stille ist es egal, ob etwas im Außen geschieht oder nicht, ob etwas gelingt oder misslingt, wer oder wie oder was ich bin. Dieser innere Raum sagt mir einfach: "Du bist dieser Raum!" Innerhalb dieses Raums, der ich bin, kann ich Interessen wahrnehmen, wenn ich will, aber ich kann es auch lassen, denn ich bin dieser Raum und der ist auch ohne Geschehnisse komplett, so wie er ist. In der Entspannung lösen sich die falschen Dinge auf. Was nicht zu mir gehört, geht von mir in der Entspannung. Anders als im Tun: Dort löst sich nichts auf, sondern ein Ziel wird verfolgt, bis es erreicht wird. Dann hat es den Anschein, als würde sich ein stückweit die Unzufriedenheit auflösen, aber dann kommt schon das nächste Ziel, das nächste Ich will aus der illusionären Person. Im Nichtstun in der Entspannung löst sich nun alles auf. Und ich verbleibe im Jetzt, so wie es jetzt ist. Ich fühle das Sein oder mein Sein so unangehaftet, wie es ist und schon immer war. Es ist still und war es schon immer, im Schatten der Persönlichkeit allerdings so gut wie nicht wahrnehmbar. Erst jetzt, wo die Persönlichkeit schwindet, wird das Sein oder die Stille wahrnehmbar, aber nicht lauter als sie schon immer war. Die Stille ist still und jetzt zwar nicht laut, doch in ihrer Sanftheit immer anwesend und unüberhörbar; denn der innere Lärm um sie herum hat abgenommen. Stille ist kein megaintensives, spirituelles Glücksgefühl: keine Droge, die glücklich macht, sondern sie ist und bleibt subtil und somit keine Trophäe, die sich stolz herumzeigt, auch wenn man stolz sein könnte, dass man bei all dem Schmerz und all der Illusion und innerer Lüge doch noch zu ihr gefunden hat. Sie ist auch keine "spirituelle Erfahrung": sie ist absolut menschlich und gehört zur Erfahrung des Menschseins, so wie wir als Mensch wirklich sind. Die Befreiung aus der Illusion, eine Person zu sein oder sein zu müssen, setzt Glücksgefühle frei, die auch anfänglich intensiv sind - eine innere "Welcome-Home"-Party! Alle inneren Instanzen stellen sich um in ihre eigentliche, natürliche Ordnung und Position - das setzt Glücksgefühle frei, wir werden entlastet davon, eine unnatürliche innere Ordnung aufrecht zu erhalten und zu erzwingen, bloß um unserer Illusion Folge zu leisten. Diese unnatürliche Ordnung hat Ego und Verstand an die höchste Stelle gesetzt und diese Instanzen haben alles dafür getan, um ihre Position aufrecht zu erhalten und so zu tun, als wären sie unser wahres Sein und unsere höchste innere Instanz. Nach der Neuordnung bleibt die innere Stille als ständiger Begleiter immer anwesend als Anwesenheit, die wir sind. Im Alltag übe ich verschiedene Funktionen aus; die Stille ist dabei anwesend. Wenn ich zuhause bin, kann ich vollkommen aufgehen in dieser Stille, wenn ich jegliche Aktivität einstelle. Ich kann es auch lassen und einem Interesse nachgehen, aber dieses Sich-Beschäftigen hat nichts Zwanghaftes, sondern ist pures Spiel. Auch dieses Spiel muss nicht wirklich sein, es DARF sein. Da das alles neu für mich ist und ich mich auch körperlich von dem Aufrechterhalten der Illusion erhole, bin ich reichlich faul und auch irgendwie ichzentriert oder mit mir selbst beschäftigt, denn ich schaue stillschweigend dabei zu, wie ich zerfalle, mich auflöse. Ich entspanne, wo es nur geht. Mein Wäschekorb ist nicht nur dabei, überzulaufen, sondern es ist nicht mehr zu erkennen, wo er überhaupt steht. Der Abwasch türmt sich, Post bleibt 2-3 Wochen unbeantwortet und am Ende des Jahres ist mein Dispo am Limit. So im Außen. Innerlich erhole ich mich grad von jahrzehntelanger Täuschung und der zwanghaften Anstrengung, diese Illusion mir selbst und allen anderen gegenüber aufrecht zu erhalten. Der Spruch "Im Inneren aufgeräumt - im Äußeren aufgeräumt" bestätigt sich hier erstmal NICHT. Eine Farce! Im Inneren löst sich jetzt vieles auf - und so auch im Äußeren. Das ist auch ersichtlich und auffällig. Eine Phase, die sich jetzt allmählich ändert. Es ist wieder mehr Energie da, um zu agieren oder aktiv zu sein, zumindest um das Nötigste zu erledigen. Das Kollabieren ist wichtig und sollte nicht unterschätzt oder gar unterdrückt werden. In der Illusion ist sehr viel Kraft und Energie verschwendet worden. Burn-out ist nicht nur ein Phänomen im Arbeitsleben sondern auch die ultimative Erschöpfung, die Illusionen aufrecht zu erhalten und das Leiden, das dies mit sich bringt, zu ertragen. Wie gesagt: wir sind und bleiben MENSCHEN. Wir werden nicht auf einen Schlag zu einem Gotteswesen, das auf einem Thron vor sich hin schwebt und Satsang gibt. Das innere Sein zu finden, in sich selbst, und es als dauerhaften Aspekt der menschlichen Lebenserfahrung zu spüren, ist natürlich und nicht "spirituell". Spiritualität ist ein Konzept, ein Bühnenbild für ein Theaterstück, in dem einem egoidentifizierten Publikum eine andere Welt vorgespielt wird, um eine Motivation zu unterstützen, hinter die eigene Identifikation zu blicken, hinter die eigenen Kulissen. Dafür ist das, was da Spiritualität genannt wird, sehr wertvoll. Aber die eigentliche Erfahrung ist pure unmanipulierte natürliche Menschlichkeit - "the new man", wie Osho oft gesagt hat. Was nun genau zu dieser Erfahrung geführt hat, kann ich nicht sagen, das ist Job der Gurus. Für mich war es ein Prozess mit vielen Stationen und Ereignissen. Ich bin dann da irgendwie hineingefallen. An diesem Punkt zucke ich nur mit den Achseln und sage: "Keine Ahnung". Ich kann mir vorstellen, wie es dazu gekommen ist, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Selbst dem Sein oder der Stille ist es egal. "Ah, wie schön Du bist, endlich da, herzlich willkommen, ich hab' auf Dich gewartet, aber Du bist nicht zu spät". Ob ich mir nun jahrelang meinen spirituellen Arsch aufgerissen habe oder nicht, spielt für die Stille keine Rolle. Ich bin halt angekommen, also bin ich qualifiziert zu bleiben, fertig, aus. In einem meiner Lieblingslieder wird gesungen: "You don't have to pass a test to come home". Wahre Worte, wie ich finde. Wenn ich es trotzdem mal zusammenfasse, dann habe ich gelebt und gelernt, weiter nichts. Und nicht zu vergessen, das tue ich immer noch! Irgendwann, nachdem ich viel durchgemacht hatte, von dem ich wusste, dass ich nichts mehr davon wiederholen möchte, habe ich mir einen sicheren Platz geschaffen, indem ich allein war und bereit wurde, alles los zu lassen. Wie ein Tier, das sich zurückzieht, um zu sterben. Das habe ich nach anfänglichen inneren Widerständen dann getan. So, bitte, das ist der Weg! Jeder geht seinen eigenen. Ich konzentriere mich lieber auf das Danach: Was geschieht da jetzt mit mir? Diese Umstellung ist absolut faszinierend, beglückend und sanft, sogar in all ihrer Intensität. Ich falle das erste Mal in meinem Leben komplett auseinander, empfinde es aber nicht als Krise, sondern als glückseliges Geschenk. Ich darf endlich Mensch sein, so wie ich als Mensch erschaffen wurde. Ohne ständig einen draufzusetzen, besser zu sein oder werden zu wollen. Veränderung geschieht jetzt und immer jetzt - innerlich, ohne Therapie oder Therapeuten oder Lehrer: IN DER STILLE. Satguru... Satguru... Satguru... Ein Ende ist nicht in Sicht; ich glaube, diese Veränderungsreise wird nie enden... wir werden sehen... Immer mehr Interessen schwinden, ich suche die Stätten meiner früheren Interessen auf und erkenne, das sie mich nicht mehr berühren. Was mich früher dort hingetrieben hatte, ist nicht mehr da. Es fehlt die Motivation, um diese Orte aufzusuchen. Ich bin dann zwar dort, bin aber eigentlich nur in der Stille, da ist kein Interesse. Was bleibt? Ich weiß es nicht. Die Liebe zu meiner Frau ist geblieben, wir sitzen im selben Boot der Auflösung, wir teilen den Prozess, sie auf Ihre Art, ich auf meine. Wir haben uns kennengelernt, als wir beide, jeder für sich, schon in der Auflösung waren. Wir lieben uns. Manchmal liegen wir nur still beieinander und fühlen die Essenz unserer Verbindung, unserer gemeinsamen Energie. Manchmal nehmen wir uns etwas vor und erkennen auf dem Weg dorthin, dass wir in der Stille sind, und kehren um, um gemeinsam in der Stille zu sein. Dieses Sein ist dann aber lebendig, erfüllend, berührt uns zutiefst. Manchmal ist die Stille dann unterbrochen davon, dass wir uns gegenseitig sagen, dass wir uns lieben: "Ich liebe Dich", "Ich liebe Dich" - als essenzielles Gespräch. Keine Zukunftspläne, einfach Energie. Auch wenn wir uns körperlich begegnen, fließt diese Essenz weiter. Wir sind alle Reisende, ob erwacht oder nicht erwacht werden wir das auch bleiben. Die Reise geht weiter, für uns alle; der Unterschied ist nur hauchdünn, auch wenn es, wenn man noch davor steht, nicht so aussieht. Vergesst das nicht auf Eurer Reise dorthin...

 

 

AUTOR: Thorsten Johst, 2017
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2002 hatte die neue Satsang-Bewegung ihren Zenit bereits überschritten. Aus Satsang wurde allmählich Satire, aus Erleuchtung wurde Erschöpfung: das spirituelle Burn-out machte sich breit. Umso leichter wurde es, sich in einen Guru zu verwandeln und Geld mit dem NICHTS zu verdienen. Die LDL macht ab 2020 nur noch BEACH YOGA und empfängt Dich kostenlos ohne Scheinprobleme!

 

"Während ich mir Mühe gab, dem Blick standzuhalten, und immerzu in seine Pupillen starrte, beschlich mich das Gefühl, ins Leere zu sehen. Ja. Da war überhaupt nichts. Da war keine Persönlichkeit. Es war, als säße da eine Hülle, durch deren Einlässe ich direkt ins Vakuum blickte. Niemand. Kein Anhaltspunkt. Kein Widerstand."  Dietmar Bittrich & Christian Salvesen, DIE ERLEUCHTETEN KOMMEN (2002)

 

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