"... Wir könnten uns [also] auf das Wissen des Wesentlichen konzentrieren, jenes Wissen, welches im Internet nie zu finden sein wird: Das Wissen um das SELBST. (...) Ein Wissen, welches nur aus erster Hand erlangt werden kann, aus eigener, direkter und gelebter Erfahrung." [S.10+44]
Gibt es Erleuchtung mit technischen Mitteln, fragt OM C. Parkin rhetorisch, weil er den Verlust von Innerlichkeit beklagt. Nach der Lektüre
der beiden Klassiker "Digitale Demenz" (von Manfred Spitzer) und "Digitaler Burnout" (von Alexander Markowetz) blieb ein alarmierendes
Unbehagen zurück, daß die spirituelle Dimension der fortschreitenden Virtualität nur extrem ungenügend im öffentlichen Diskurs berücksichtigt wird. Darum bin ich erleichtert, auf diesen
vorliegenden Lesetipp zu stoßen. Das 46 Seiten starke Interview einiger Schüler mit ihrem deutschen Guru OM C. Parkin erschien am 21. Juni 2017 unter dem Titel "Das digitale Zeitalter
aus Sicht der Weisheitslehre" als 64 Seiten umfassendes DinA5-Heft mit dunkelblauem Cover im "advaitaMedia" Selbstverlag, der sich selber als "Fachverlag für anspruchsvolle
spirituelle Literatur" bezeichnet. Der Sitz des Verlages ist das sogenannte "moderne Kloster" Gut Saunstorf in Mecklenburg-Vorpommern, das sich im Untertitel "Ort der
Stille" nennt. Hier lebt der zeitgenössische Weisheitslehrer in Gemeinschaft mit seinen Schülern in der Nähe von Wismar. 1990 erwachte der Autor laut Selbstauskunft mit 27 Jahren durch einen
Autounfall zur Ichlosigkeit, woraufhin er vom Guru Poonja den Namen OM erhielt. Poonja wiederum ist ein direkter Schüler des Gurus Maharshi, der ein Vertreter der Advaita-Tradition ist, auf die
sich Parkin ebenfalls in seiner eigenen Lehre der "Inneren Wissenschaft" bezieht.
Da ich das dünne Heft im gebrauchten Zustand für nur 3,60€ (statt neu für 7,50€) über Amazon erwerben konnte, folge ich hiermit dem Facebook-Aufruf der LDL (Liga der Leeren), eine Rezension zu schreiben, zumal mir der interviewte "Enneallionce"-Lehrer für "SELBSTrealisation" bereits aus einer gemeinsamen (!) Publikation bekannt ist: In der Advaita-Ausgabe 9-10/2014 des Magazins "CONNECTION SPIRIT" war im kostenpflichtigen Teil auf Seite 69 ein Kurzportrait über ihn erschienen und im davor geschalteten Advaita-Teil auf den Seiten 42-45 mein autobiografischer Essay "GEDICHTE SPUCKEN WAHRHEIT AUS" mitsamt dem Langgedicht "ÜBERGRÖßE". Wäre dem Herausgeber Wolf Sugata Schneider die Größe der Anhängerschaft als Maßstab wichtig gewesen, hätte es wohl vom Umfang her sowie den Konditionen eher andersherum ausschauen müssen; denn was mich betrifft: ich bin weder ein Guru noch habe ich Schüler, geschweige denn bin ich ein Advaita-Vertreter! Was mich bei meinem damaligen Abstecher als Lyriker in die Spiriszene am nachhaltigsten verblüffte, war das simple Paradoxon des Glaubens an eine Nicht-Dualität als eigenständige, dualistisch abgespaltene Bewusstseinsebene, was mir nicht weniger metaphysisch-schizophren erscheint als jede andere religiöse Richtung. Der Gotteswahn nennt sich lediglich anders, versteht sich mehr psychotherapeutisch als "erleuchtetes Selbst". Auch OM C. Parkin beruft sich auf psychologische Methoden der Selbsterkenntnis mit dem letztlichen Ziel der Erkenntnis der "wahren Natur" des Menschen. Da diese Form von Erleuchtung der Idee der Auslöschung des personalen Ichs verpflichtet ist, bleibt in jeder Sekte unbeantwortet (oft sogar tabuisiert), "WER" diese Wahrnehmung überhaupt HABEN kann, "der" die vermeintlich wahre Natur des Universums erkennt. In meinen Rezensionen der Bücher des verstorbenen Bewusstseinscoaches Werner Ablass habe ich diese fundamentale Kritik am Kardinalfehler der spirituellen Sucher bereits auf die Spitze getrieben, weshalb ich dieser Versuchung jetzt widerstehen kann und mich stattdessen auf den reinen Inhalt des Heftchens konzentrieren möchte, da ich mich neuerdings auch beruflich mit dem Thema Digitalität beschäftige. Die Kernbotschaft der Kritik am digitalen Zeitalter aus der Sicht der Weisheitslehre erschließt sich aus einigen wenigen zitierfähigen Sätzen, die meinem eigenen mulmigen Gefühl ziemlich entsprechen:
"Und die digitale Revolution, welche sich nicht mit künstlicher Intelligenz zufrieden geben wird, sondern wahnhaft die Aufgabe verfolgen wird, künstliches Bewusstsein zu schaffen, wird die
massenhafte VERGEISTIGUNG* exponentiell vorantreiben. Die Karikatur des 'Nerd' ist ein Archetyp entkoppelter Vergeistigung, körperlos, emotional vertrocknet, kommunikationsgestört, anämisch. Ein
Typ, der genauso virtuell ist wie die Welt, in der er sich verliert. (...) Das eigentliche, integrale Erleben in der Realität des Augenblicks wird zugunsten von *BILDERN VON DER REALITÄT
geopfert. Ein klares Anzeichen des Totalverlustes der wesentlichen Unterscheidungskraft." [S.12+17]
Allerdings übertreibt der Autor seine Herzenskritik für meinen Geschmack aufgrund der esoterischen Advaita-Einstellung:
"Wenn der Mensch seine Lebenskraft und Intelligenz veräußerlicht, dann steht sie ihm für den inneren Weg nicht zur Verfügung. (...) Durch die Verlagerung von Aufmerksamkeit von Außen zurück
nach Innen verlangsamt sich Produktivität im Außen auf natürliche Weise, denn das 'Über-' fällt weg. Ein Teil der Lebenskraft richtet sich wieder auf die Entfaltung und Produktivität innerer
Prozesse, um das reine Bewusstsein, welches nicht Ich-hafter Natur ist, freizulegen." [S.20+22]
Mir als Vertreter von natürlicher Nondualität dreht sich bei solchen spiritistischen Begriffen wie "reines" Bewusstsein natürlich der Magen um, weil ich kein metaphysisches Ersatzziel
benötige, um zwischen (konsumierten) Bildern und (gefühlter) Bildlosigkeit des Seins zu unterscheiden. Trotzdem liegt OM C. Parkin völlig richtig mit der apokalyptischen Analyse:
"Aus dieser Perspektive ist ein Großteil der im Internet, in den sozialen Netzwerken verbreiteten Informationen nichts anderes als geistiger Müll. Produziert durch eine endlose
Selbstunterhaltungsmaschinerie des Ichs. Es ist geistige Umweltverschmutzung. Das Informationszeitalter ist auch das Zeitalter geistiger Vermüllung der Atmosphäre." [S.25]
Bingo!!! In meinem eigenen Jargon heisst das schon lange NEUROSMOG und ich bin schon allein dafür froh, dieses Interview durchgelesen zu haben. Der Autor bestätigt -trotz meiner
allergischen Aversion gegen Gurutypen generell- meine Sorge über die fortschreitende Digitalisierung der kollektiven Wahrnehmung als Verlust von bildfrei empfundener Seinsfühlung, wie es im
Zen-Buddhismus als "leerer Spiegel" (statt Selfie-Kultur) bezeichnet wird. Leider verschmutzt OM C. Parkin seine soziologisch wertvollen Ausführungen durch die unnötige Polarisierung der
analogen Innerlichkeit, die der esoterische Sinnsucher bei jedem Guru zu kaufen oder zu lernen glaubt, obwohl es sich doch angeblich um ein Wissen handelt, "welches nur aus erster Hand
erlangt werden kann, aus eigener, direkter und gelebter Erfahrung." Darin liegt eben die Absurdität von Sekten: sie funktionieren nur, weil ein Guru die SEELE vermitteln will, die aber gar
nicht vermittelbar ist, und die Anhänger durch ihren Mangel an selber gefühltem Sein wie hypnotisierte Zombies so lange brav meditieren, bis kein Geist mehr in der Maschine wohnt, um überhaupt
sowas wie Seele zu spüren.
"Die Verlockung liegt in der Erfüllung von Ersatzbedürfnissen. Auf Kosten der wahren Bedürfnisse der Seele." [S.44]
Im besten Fall taucht im Bewusstsein das objektlose NICHTS auf, "das" sich allen Vorstellungen von Seele radikal widersetzt und den Schüler von seinem Meditationsbedürfnis befreit, weil im Nichts
niemand mehr wohnt, der etwas sucht: Es gibt dort keine Erleuchtung, weder mit technischen noch mit introspektiven Mitteln; denn Erleuchtung ist nicht das Gegenteil von digitalem Ersatzwissen,
sondern eine Erfindung des bedürftigen Ichs, das sich selbst prinzipiell auf allen Ebenen -digital wie analog gleichermaßen- vergeblich sucht anstatt im (bild)leeren Sein zu ruhen. Erleuchtung
ist nur die Sehnsucht des Egos nach einer aseptischen, virenfreien Virtualität, die bereits von der katholischen Kirche als "Seele" vermarktet wurde, lange bevor es Computer und die
Suche nach künstlicher Intelligenz überhaupt gab. Darum beende ich meine Rezension mit einem Zitat aus dem Interview, das zwar durch die göttliche Großschrift des Wörtchens "Sein"
eigentlich advaitaistisch zu lesen ist, aber ohne dieses fachspezifische Hintergrundwissen lässt sich daraus etwas brauchbares über die digitale Gefahr ableiten, die zumindest den normalen
Wahnsinn der rasant wachsenden Gesellschaftsgruppe der Nerds (bzw. Selbstdarsteller auf Instagram & Tiktok) betrifft:
"In Momenten sitzen Menschen einfach nur da und sind sich vollständig des SEINS gegenwärtig, weil das Bedürfnis eines überaktiven Machers, dessen wesentlicher Antrieb die Kompensation
unbewusster Angst war, einfach nicht mehr existiert ..." [S.45]
*mit Stern gekennzeichnete Großbuchstaben bei Zitaten für im Originaltext kursiv gesetzte Wörter (also alle außer den Wörtern "SELBST" und "SEIN" im Eingangs-
bzw. Ausgangszitat, welche im Original tatsächlich großgeschrieben stehen!)
OM C. Parkin: Das digitale Zeitalter aus Sicht der Weisheitslehre, advaitaMedia Verlag 2017
connection spirit 9-10/14: Sowohl als auch: Advaita - die Lehrer und Lehren der Nondualität
BEREITGESTELLTE ABBILDUNGEN: vom Rezensenten fotografierte Exemplare aus seinem eigenen Archiv © DIGITALASSISTENZ.de