PZ: Irgendwo auf Deiner Homepage las ich, daß Du bereits 2009 mit dem Gedicht "ÜBEREVENT" die Hoffnung verbunden hattest, es
könnte Dein letztes Gedicht sein. Jetzt hast Du sechs Jahre und hunderte Gedichte später das Gedicht "ABGANG" auf Deiner Seite Poplyrik.de veröffentlicht, in dem Du ganz explizit
sagst, dies sei tatsächlich das allerletzte. Warum wünscht Du Dir überhaupt solch ein Ende der Lyrik? Was erwartest Du von einem "letzten" Gedicht?
TdT: Für mich ist das Dichten die Folge von existenziellen Fragen in meiner Jugend, der Sehnsucht zu verstehen, was GOTT, das ICH und der SINN des ganzen Seins ist. Ich habe
damals sehr darunter gelitten, daß ich weder bei Religionen noch sonstigen esoterischen Glaubenssystemen Antworten fand, die mich überzeugten. Dank eines Meditationslehrers begann ich dann all
diese "letzten" Fragen nach innen zu richten, anstatt sie auf äußere Bilder zu projizieren. Ich machte einige paranormale Erfahrungen und gelangte immer tiefer in ein Labyrinth aus
Symbolen und erweiterten Bewußtseinszuständen, die in vielerlei Hinsicht grenzwertig waren. Aber ich konnte die Grenze ins sogenannte Absolute nicht überschreiten. Bis zu jenem Tag im Mai 1989,
als ich meine Locherfahrung machte. Da lösten sich plötzlich sämtliche Fragen auf und als Antwort blieb lediglich die GESPÜRTE UNENDLICHKEIT, die sowohl leer als auch voll ist, mystisch und
materiell. Plötzlich war ich zu einer transdualistischen Wahrnehmung erwacht. Alles war absolut "da", aber durchtränkt von seiner eigenen Leere. Ich fand einen Monat danach ein paar
wenige Worte, um dieses neue Lebensgefühl auszudrücken: mit dem kurzen Gedicht "KONTAKT" wurde mir klar, daß nicht die Wahl von besonders originellen Wortschöpfungen über die
Qualität der Poesie entscheidet, sondern daß die Wörter der vorangehenden Erfahrung gerecht werden müssen. Meine Direkte Dichtung ist quasi "Erfahrungslyrik" mit dem Schwerpunkt auf
ekstatischen Erkenntnissen. Und das beste und wichtigste und allerletzte Gedicht war für mich die Utopie einer Sprachkomposition, die das transdualistische Lebensgefühl perfekt ausdrücken sollte.
So dermaßen perfekt, daß einem danach keine besseren Worte mehr einfallen. Das Gedicht "ABGANG" ist keins von dieser Sorte, es ist ja bloß eine metapoetologische Reflexion. Ich
habe gerade 21 absolute Gedichte aus allen Jahren unter dem Motto "NEUROATHEISMUS" in einem gesonderten Buch zusammengestellt. Das gab mir ein gewisses Gefühl von Zufriedenheit,
nach exakt 30 Jahren aus über 2000 Gedichten immerhin jene "very best of" herausfiltern zu können, die meinem Anspruch genügen, etwas Letztes, Ultimatives, Totales zu sagen.
PZ: Heißt das, Du bist nun tatsächlich fertig? Am Ende der Lyrik angekommen? Oder könntest Du Dir auch vorstellen, daß Du immer wieder derart absolute Gedichte schreibst, eine
Never-ending-story? Oder daß sich die Aufgabe der Poesie für Dich ändert?
TdT: Da kann sich im Grunde nichts mehr ändern, denn ich habe ja schon alle Bereiche abgedeckt: Liebesgedichte, politische und engagierte, Stadtgedichte, Naturlyrik, mystische,
ultrakurze, lange, gereimte und reimlos moderne. Aber bei allen noch so verschiedenen Gedichtsorten spielen die spirituellen Themen die Hauptrolle. Manchmal ganz explizit, manchmal nur in einem
Wort oder einer einzigen Zeile versteckt angedeutet. Das Spirituelle als Überwindung jeglicher Religiosität ist eben mein Hauptanliegen. Deshalb verstehe ich eine erwachsene, freie Spiritualität
als Transreligiosität. Sogesehen könnte ich bis zu meinem Lebensende weiterdichten. Denn jede Situation, jeder gelebte Augenblick lässt sich spirituell poetisieren. Aber es besteht keine
Notwendigkeit, kein zwanghafter Druck mehr. Ich kann den gesamten Strom der Ereignisse mittlerweile auch wortlos, und das heißt ja ichfrei, ertragen. Mit einem leeren Kopf und dem kindlichem
"großen" Staunen. Das war einmal anders. Ich geriet immer wieder in zwangsneurotische Zustände, die ich als Spiri-Psychose bezeichne. Da war dann ein unstillbares Bedürfnis, die
Unendlichkeit nicht nur zu spüren, sondern sie auch in einen Gedanken zu fassen, in ein Wort, eine Formulierung, eine Definition, an die sich das Ich klammern kann. Denn das pure 100-prozentige
Spüren bedeutet auch, sich der Bodenlosigkeit ganz hinzugeben, sich nicht mehr festhalten zu können, den freien Schwebezustand zu ertragen. Mit der Erfindung der Quantenlyrik hatte ich 2001
dieses Ziel sprachlich erreicht. Jede quantenlyrische Antisilbe funktioniert quasi wie ein Mantra. Allerdings lässt sich die Quantenlyrik nicht für das Ich funktionalisieren, denn sie ist total
konkret und zugleich total abstrakt. Ähnlich wie ein Loch. Ein echtes Loch ist ja einerseits ganz konkret als Loch vorhanden, aber andererseits nur aufgrund seines Rahmens. Entfernt man den
Rahmen, verschwindet auch das Loch. Es war also nur die Abstraktion der Leere im Rahmen.
PZ: Verstehe ich Dich richtig: die Quantenlyrik war für Dich bereits die Vollendung Deines Anspruchs an die Lyrik? Und Du hast trotzdem weitergedichtet?
TdT: Ja. Die Quantenlyrik ist transparadox wie das mystische Spüren der Unendlichkeit. Eine Ich-transzendente, transpersonale Dichtung, kein Dada und kein esoterisches Symbol!
Neuroatheistisch bedeutet ja, daß die Überwindung der Religiosität durch einen nervösen Körperzustand erreicht wird, eine ekstatische Erkenntnis, die durch die Nervenbahnen strömt, die gespürt
wird anstatt nur gedacht. Das abgespaltene Ich möchte sich aber in statischen Symbolen ausdrücken, um den ewigen Fluss der Gefühle anzuhalten. Es möchte ein ultimatives Symbol für das
"große" Gefühl für das Ganze entdecken. Und so dichtet es weiter, obwohl es längst angekommen ist. Das Drama wird erst überwunden, wenn sich das Ich wieder mit dem reinen Körpergefühl
identifizieren kann. Und wenn dann das Körperliche an sich sogar aufgrund einer mystischen Wahrnehmung als unendlich und leer empfunden wird, kann sich das Ich selber automatisch auch als
unendlich und leer empfinden. Das nenne ich dann die "Grundlose Inwesenheit". Dann ist man erlöst von diesem Bedürfnis, ein heiliges Wort für das geheimnislose Geheimnis des Lebens zu
erfinden. Hier endet die Notwendigkeit der spirituellen Poesie. Und die große geistige Freiheit beginnt, alles poetisch zu empfinden. Jeden Moment. Und jedes Wort. Das Leben ist dann
poetisiert...
PZ: Dann bin ich gespannt, was für Gedichte wir von Dir in Zukunft zu lesen bekommen, und wünsche Dir weiterhin ein ganzheitlich-poetisches Leben!
Tom de Toys: NEUROATHEISMUS: 21 transreligiöse Gedichte 1989-2015, 28 Seiten, BoD Verlag 2015, 8 Euro, ISBN 9783738633221
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