Illusionen sind vielfältig vorhanden. Die Regale sind gefüllt, wir können aus dem Vollem schöpfen, was Illusionen angeht. Ich sage schöpfen, aber sind wir Schöpfer, indem wir uns
der Illusion bedienen und ihr entsprechend leben? Sind wir Schöpfer, wenn wir unsere Träume und Hoffnungen, unsere Zielsetzungen, auf einem Fundament der Illusion aufbauen? Wird dieses Gebäude,
dieses Konstrukt eines Tages, nach all der Anstrengung und der mühevollen Arbeit und Detailverliebtheit, nicht einfach zusammenbrechen? Weil die Statik nicht stimmt? Weil all unsere Berechnungen
im Grunde falsch waren und wir den Fehler nie gesehen haben? Illusionen sind im Angebot, von Anfang an überall leicht erhältlich. Keine Altersbegrenzung, kein Jugendschutz, keine Illusionen erst
"ab 18", nein es geht schon direkt los, im Elternhaus, im Kindergarten, in der Schule, der Universität, im Radio, Fernsehen, Kino, Internet, in den Zeitungen, den Illustrierten, im mit Illusionen
getränkten Miteinander, in unseren Beziehungen, Ehen, in unserer Selbstfindung, in unserer spirituellen Entwicklung. Die Illusion ist allgegenwärtig, wir sind abgefüllt mit Illusionen.
Abgefüllt, aber nicht erfüllt. Dabei suchen wir in der Illusion die Erfüllung, sonst würden wir ihr nicht folgen, würden wir nicht versuchen, sie umzusetzen, hätten wir keine Erwartungshaltung,
dass uns etwas glücklich machen wird, wenn wir es erreicht haben. So suchen wir in jedem dieser "Träume" das wahre Glück, wobei Jeder sich ein Muster, eine Auswahl an Illusionen und
Träumen zurechtgelegt hat, die es jetzt zu verwirklichen gilt, um das Glück zu erfahren. In Partnerbörsen werden dann die Träume maschinell abgeglichen, um zu sehen, welche konstruierten
Illusionen "gut zusammenpassen", um ein harmonisches illusionäres Miteinander zu garantieren. Mittlerweile ist das Thema für mich langweilig, ich habe gelitten, bin gesprungen - oder besser: bin
abgeholt worden. Ich war manipulativ, wurde manipuliert, habe mich versteckt, wurde verlassen, hab' gelogen, wurde betrogen und belogen, war verletzend, wurde verletzt, hab' über die Stränge
geschlagen, hab' alles versucht und gekostet. Jeder hier macht das auf seine/ihre Art und Weise, es ist langweilig geworden und genau das ist der Punkt. Selbst Karma wird langweilig. Nach
allen Erfolgen und Misserfolgen stellt sich eine Art Langeweile ein, eine Gleichgültigkeit und ein Gefühl der Leere. Denn keine der Illusionen hat zu Erfüllung geführt. Kurze
Glücksmomente, ok, ja, aber danach wieder der gleiche unglückliche unzufriedene Zustand. Wie ein umgekehrtes Stehaufmännchen, das nach jeder Erfahrung wieder am Boden liegt und nicht weiter weiß.
Hat es überhaupt noch Lust, sich wieder aufzurichten? Für Was? Für Wen? Wenn Erfahrungen leer bleiben, also inhaltlos erscheinen, stehen wir an einem Wendepunkt. Die Erfahrungen sind zwar auf
ihre Art real und lösen auch real erscheinende Gefühle aus, aber sie sind nicht real, sie sind illusionsgesteuert, ein Schleier, eine Lüge. Diese Art von Erfahrungen sind egogesteuerte
Inszenierungen, die Glück durch vorgetäuschten Erfolg vorgaukeln sollen. Doch nach dieser Art von Erfolg stellt sich nach einer kurzen Zeit der Euphorie wieder ein Gefühl der Leere ein. Diese
Leere ist die Rückmeldung des wahrhaftigen Seins, welches sich von der Inszenierung unbeeindruckt zeigt und damit sagt: Du magst etwas gefunden haben, aber Du hast mich nicht gefunden! Schon in
meiner Jugend hatte die Suche angefangen. Meine Selbstfindungshistorie war ein rauschendes Fest der Extreme, ich war bei Gurus, habe in Ashrams gelebt, war in jeder gängigen Selbstfindungsgruppe,
bin viel gereist, aber mich hat das alles nicht wirklich erreicht. Genau wie vorher: kurze Glücksmomente, das Gefühl etwas verstanden oder erreicht zu haben, aber danach hatte ich doch wieder
nichts in den Händen. Ich habe meinen geliebten Guru nicht verstanden. Vom Verstand her schon manchmal, aber nicht innerlich, nicht wirklich. Ich habe seine Worte konzeptualisiert. Jetzt
erst verstehe ich ihn, jedes Wort ein solcher Schatz. Nach seinem Tod habe ich dann andere Träume und Illusionen gelebt, nur um wiederum einen Pfad gescheiterter Glücksversuche
zurückzulassen, einen absoluten Scherbenhaufen. Als letzte Instanz habe ich dann den absoluten Egoismus gelebt, das Motto war: scheiß drauf - "who gives a shit"! Ich werde eh nicht mehr
glücklich, also werde ich wenigstens DAS genießen. Ein letzter Versuch einer aggressiven, gewaltsamen Erfüllungsstrategie. Ohne auf Bindung oder Verantwortung zu achten, habe ich mich in diese
destruktive Party gestürzt. Auch hier keine Rettung, auch hier gab es kein wirkliches Glück, aber diesmal wusste ich es ja im voraus.
AUTOR: Thorsten Johst, 2017
LEKTORAT: LDL (kleine Korrekturen und orthografische Abweichungen vom Original sowie kursive/fette Hervorhebungen)