Ich kann das volumen meines gehirns und die räumliche ausdehnung meines gesamten körpers durch die nach innen gerichteten augen wahrnehmen und die ovale form meiner augen und deren bewegung in ihren schädelhöhlen spüren, als wäre mein bewußtsein in einen humanoiden roboter verpflanzt worden, dessen technik nun von meinem gesamt-ich erkundet wird. Die augen sehen sich dabei als DAS SEHENDE ICH und das gehirn denkt sich als DAS DENKENDE ICH. Es gibt keine identität außerhalb all dieser sinnlichen ichs und im tod werden die einzelnen ichs ihre allmähliche zersetzung erleben. Der kleine zeh wird sein erkalten empfinden, die blutbahn wird ihren eigenen stillstand bemerken, die lungen das ineinanderfallen der flügel, das herz seinen ausbleibenden schlag und das gehirn seine sich auflösenden gedanken. Ich wünsche mir, daß ich den abschied des körpers von sich selbst sehr bewußt miterleben darf und die vernichtung des ichs als allmähliche auflösung der selbstwahrnehmung begreifen kann. Den finalen moment des tatsächlichen todes stelle ich mir als gleichzeitiges verschwinden der identität vor, so daß es in dieser sekunde kein ich mehr gibt, das seinen eigenen tod nachvollziehen könnte. Das bewußtsein der zellen verteilt sich dann wieder auf das bewußtlose dahinströmen der einzelnen elemente, so wie das universum anscheinend noch nichts von seiner eigenen existenz zu wissen vermag, wenn die gehirne zerfallen, die sich als bestandteil des universums entdecken. Vielleicht wäre es eine erleichterung und erlösung, wenn das universum urplötzlich erwachen würde und mit seiner kosmischen stimme den menschen anspräche: "ICH BIN DAS UNIVERSUM - WAS MACHEN WIR JETZT?", aber womöglich verhindert sein eigenes unendlichsein die option, sich seiner selbst bewußt zu werden, da ein bewußtes ich die begrenzung auf einen klar definierten räumlichen körper voraussetzt anstatt einen unendlichen raum, der nur aus gigantischer leere mit ein paar auskondensierten felsbrocken besteht. Hätte das universum ein ich, daß sich trotz seiner unendlichkeit im bewußtsein der menschen bemerkbar machen könnte, wäre es vielleicht der ersatz für den fehlenden gott, der von vielen so sehnlichst herbeigebetet wird, aber sich noch nie als das höhere wesen gezeigt hat, das durch alles hindurch weht und dabei darüber steht. Egal, wie sich ein gott bisher bemerkbar gemacht hat, es war nie der gott selber sondern nur eine art karneval, eine menschliche maskerade, ein spiel mit den formen, die wir wahrnehmen können. Das formlose gesicht der unendlichkeit selber lässt sich nur von innen ertasten, sobald das bewußtsein des menschen sich selbst als dieselbe materie begreift, die es da draußen bestaunt, also sich selber als unendlich erkennt und dadurch zu der stimme des universums mutiert. Das gehirn eines menschen verwandelt sich durch seine eigene wahrnehmung als kosmischer staub in ein sprachrohr des universums - das ich des gehirns ist nicht länger ein zwanghaftes festhalten an sich als identität, sondern nur mehr die fähigkeit der materie, ihr eigenes sprachloses vorhandensein zu bemerken und gegenüber sich selbst zu artikulieren. Gehirne kommunizieren miteinander, indem sie sich gegenseitig bemerken und immer wieder bestätigen: "WIR SIND DA!" Das universum bestätigt sich selbst seine eigene existenz, indem es in form von gehirnen mit sich selbst kommuniziert. Das universum ist sogesehen autistisch, es hat gar keine andere wahl. Es sei denn, es wäre nicht wirklich unendlich, sondern hätte ein nachbaruniversum, mit dem es sich austauschen könnte: "HEY, ALLES KLAR, NACHBAR? WIE GROß BIST DENN DU? IST HINTER DIR NOCH EIN UNIVERSUM ODER SIND WIR DIE EINZIGEN BEIDEN?" Die direkte nachbarschaft des paralleluniversums, das nahtlose nebeneinander, das drängeln und quetschen im unendlichen, der versuch, miteinander zu sprechen, obwohl keine organe zur bildung von sprache vorhanden sind, nur die sterne und galaxien, die spiralarme und gasnebel, das licht der sonnen, die dunkelheit der schwarzen löcher - genügen die kosmischen objekte als sprachorgane, sprechen sie miteinander, ohne daß wir es ahnen? Redet das universum womöglich pausenlos mit sich selbst? Ist jedes atom im tiefsten inneren seiner selbst bewußt, ohne daß wir es hören? Müßten wir die geheime gebärdensprache des universums erst lernen, um uns selber zu hören, die moleküle unserer eigenen gehirne beim sprechen mit nachbarmolekülen, die leere zwischen den einzelnen elementen, wie sie über sich selbst referiert: "ICH BIN DIESE LEERE ZWISCHEN DEN ATOMEN UND IN DEREN TIEFSTEN INNERSTEN NICHTEXISTENZ!" und die atome, wie sie sich gegenseitig im chor antworten: "WIR SIND DIE MATERIE, AUS DENEN DAS UNIVERSUM BESTEHT! WIR SIND DAS UNIVERSUM!" Wäre der mensch endlich glücklich? Hätte er den verlorenen gott hintenrum wiedergefunden? Könnte er überhaupt das universum als gott akzeptieren? Wären wir dazu bereit? Wären wir fähig, dem universum als gott zuzuhören und seine stimme als göttlich zu interpretieren? Oder wären wir einfach nur überfordert, geschockt und enttäuscht, weil es dann zu trivial wäre? Wenn das universum ganz laut und deutlich feststellen könnte: "ES GIBT KEINEN GOTT AUßERHALB MEINER EIGENEN UNENDLICHKEIT!", wären wir zu dieser banalen erkenntnis bereit? Oder benötigt der mensch ein geheimnis, ein grundsätzliches, ewiges "hinter den dingen", ganz gleich, wie weit wir schon hinter das hinterste hintertürchen vorgedrungen sind? Aber wieso gibt es dann doch immer schon einzelne menschen, die dazu bereit sind, sich allen illusionen zu entsagen und der schockierenden wahrheit die stirn zu bieten? Ja, die sich sogar darauf freuen, "das letzte geheimnis" zu lüften und endlich den klaren blick hinter die kosmischen kulissen zu wagen! Wieso gibt es sie, diese verführer, banausen und ketzer, die nichts weiter zu bieten haben, als die stupide erkenntnis, daß es nichts weiter erkennbares gibt außer der selbsterkenntnis? Aber hat sich ein gottsuchender mensch, der die enttarnung seines glaubens als des kaisers neue kleider fürchtet, jemals wirklich bemüht, seine SELBSTERKENNTNIS zu zelebrieren? Haben wir uns eigentlich beigebracht, wie sich die selbsterkenntnis anfühlt, die so groß und so tief ist, daß sie sich selbst als die göttliche unendlichkeit wahrnimmt? Haben wir unseren kindern überhaupt eine ahnung davon vermittelt, was sie erwartet, wenn sie NICHT mathe und deutsch pauken, sondern sich fragen, warum sie "da" sind und was dieses "da" eigentlich ist? NEIN! HABEN WIR NICHT! GANZ IM GEGENTEIL! WIR UNTERDRÜCKEN DIE KOSMISCHE SELBSTERKENNTNIS DES MENSCHEN MIT ALLEN MITTELN, WEIL WIR SELBST ANGST VOR DER WAHRHEIT HABEN! WIR SIND KLEINE SCHISSER UND VERTUSCHEN DAS GEGENÜBER DEN NEUGEBORENEN! Es bedarf einer gnade und eines glücks, wenn wir als einzelne aus dieser metaphysischen superhypnose aufwachen und den kollektiven tiefschlaf bemerken, von dem wir umgeben sind, der sich in hektischer geschäftigkeit zeigt und in ablenkungen, die so geschickt und elegant wirken, daß wir ihnen ganz fasziniert ausgeliefert sind, weil wir dazugehören wollen, mitspielen wollen, nicht ausgestoßen sein wollen. Wir trauen uns kaum, unser alleinsein zu spüren, wir plappern und konsumieren und zeigen uns stolz, wie wir uns plappernd und konsumierend über wasser halten, während die mangelnde selbsterkenntnis verdurstet: in der wüste ertrinkt! Wir sind die weltbesten in der verdrängung und schreien im inneren lautlos gegen die lüge an! Weil wir so laufen gelernt haben von kindesbeinen an! SETZ EINEN SCHRITT VOR DEN ANDEREN UND FRAG NICHT NACH, WAS EIN "BEIN" IST. Warum hat ein vogel denn flügel, aber ein mensch nur zwei beine, mit denen er nicht fliegen kann? Aber warum, fragt der vogel, habe ich nur meine flügel und diese idiotischen krallen? Ich würde so gerne auf zwei beinen laufen und hätte dazu gerne zwei arme und hände, um flugzeuge zu bauen, dann könnte ich alles! DER MENSCH HAT SICH NOCH GAR NICHT ENTDECKT, ER IST BETÄUBT VON DER ANGST VOR DEM UNIVERSUM UND ERFORSCHT DIE UNENDLICHKEIT NUR IN DER HOFFNUNG, DEN GOTT HINTER DEN STERNEN DOCH IRGENDWANN ANZUTREFFEN. Aber was wäre, wenn gott wirklich erschiene? Als unvorstellbar fantastisches wesen, das alle erwartungen von allen religionen erfüllt und zu uns spräche wie eine art überpräsident: "Meine verehrten damen und herren, mein name ist gott. Ich bin gekommen, um..." BUH! BUUUH! BUUUUUUUH! Nein, würde die masse dann grölen, du kannst nicht DER gott sein, auf den wir seit abertausenden jahren sehnsüchtigst warten, du bist zu trivial, zu konkret, zu geheimnislos, zu direkt, zu greifbar, zu echt, zu normal. Also ein bißchen hokuspokus muß immer sein. Weil wir die ankunft des gottes nicht wirklich trainiert haben, wir sind einfach schlecht vorbereitet, die heiligen hausaufgaben noch nicht gemacht, zu viel mathe und deutsch gepaukt, darüber vergessen, die SELBSTERKENNTNIS DER UNENDLICHKEIT zu trainieren. Aber nur übung macht meister. Wollen wir MEISTER sein? Wollen wir wirklich nicht nur im fußball sondern im universum meister sein? Wollen wir meister in der erkenntnis des universums sein? In der erkenntnis, daß unser gehirn aus demselben stoff wie das universum gemacht ist? Daß wir das universum DURCH UNS erkennen können? Daß wir sogar so überheblich und größenwahnsinnig werden können, den spieß einfach umzudrehen und zu behaupten, das universum erkenne sich DURCH UNS? Haben wir denn den mut dazu, wenn das bedeutet, im selben atemzug das universum als göttlich anzuerkennen anstatt einen gott hinter der unendlichkeit zu suchen? Oder sind wir die schreienden kleinkinder, die einen fußball zur ablenkung benötigen, ein bordell, ein kasino, ein kino, eine familie, ein haus, einen job und eine lebensversicherung? Haben wir all diese dinge nur aus diesem einzigen grund: damit wir nicht merken, daß alles ein ende hat und wir nur teil der unendlichen leere sind, die sich MATERIE nennt und wie diese krabbelviecher der schizophrenen unter der haut juckt? Ja, die unendlichkeit juckt uns im geiste, aber wir wissen nicht, wo wir uns kratZEN sollen! Wir müssen die stelle in unserem bewußtsein erst finden, wo sich DAS GANZE überhaupt denken lässt! All die verrosteten vorhängeschlösser an den massiven holztüren, die wir seit vielen jahrhunderten zwischen den neuronalen zentren verschlossen hielten. Und die futuristischen schweren tresortüren mit digitalen zahlenschlössern, die noch hinzukamen, seitdem wir modern wurden. Wir haben unser bewußtsein perfekt vor der unendlichkeit abgeschottet und spielen hinter verschlossenen türen katz und maus! DAS NENNT SICH KULTUR! ZIVILISATION UND FORTSCHRITT! Aber es kommt eines tages der tag, der kein tag wie die anderen ist: weder die hölle noch paradies, sondern die ERDE. Erst dann, wenn wir nicht mehr den planeten in panik verbauen sondern aus reinstem gewissen innehalten, uns einander anschauen und mit einem lächeln begrüßen: "WILLKOMMEN IM GANZEN, WIR SIND DAS UNIVERSUM!", hat die menschheit ihr kosmisches ziel erreicht, sich als das sprachrohr des universums zu würdigen, sich vor sich selbst zu verneigen wie früher vor gott und sich gemeinsam als eine familie mit dem nachnamen "mensch" um die gesundheit des ganzen zu kümmern, das wir durch uns zu seiner selbstbewußtheit gebracht haben. In dieser zeitlosen sekunde werden die galaxien stillstehen, kein stern wird verbrennen, die meteoriten halten auf ihrer flugbahn inne, das ganze universum hält seinen atem an, um einen gigantischen seufzer der erleichterung wie ein gebet auszustoßen! Zumindest in dieser nutzlosen vision, die ich nun hier von drei bis fünf uhr morgens niederschrieb, weil ich aus irgendeinem sofort wieder vergessenen traum mitten in der nacht aufwachte und von hunger getrieben eine fertiglasagne in die mikrowelle schob und dazu cola-banane trank und das leben liebte, weil ich als halbtagskünstler sogar halbnachtskünstler sein kann, wenn es denn sein muß. Und anscheinend mußte das gerade jetzt sein, auch wenn ich noch nicht ganz verstehe, wozu es im grunde gut ist, wie das ja häufig bei solchen visionen ist: du fühlst dich zwar selbst in dem "zustand" so überklar und erkenntnisreich wie es in inspirierten momenten halt ist, aber der nutzen der kreativen ergebnisse bleibt manchmal jahrhunderte lang ein einziges großes fragezeichen, während wir blöden, überwältigten visionäre schon längst wieder zu staub zerfallen sind, womit wir dann gleich wieder beim anfang des textes wären...
Autor: Tom de Toys, 10./11.12.2013
Originalquelle: Buch "GRUNDLOSE INWESENHEIT" (BoD Verlag 2015)