"Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Sandkorn und der Ewigkeit. Sie müssen sich die Ewigkeit nicht als etwas vorstellen, das im Sandkorn enthalten ist. Das Sandkorn IST die Ewigkeit.
Genau so wenig unterscheidet sich die Tatsache, dass wir jetzt hier sitzen, vom Nirwana. So wie wir hier sitzen, sind wir im Nirwana. Sie brauchen weder zum Sandkorn noch zu unserem Hiersitzen
einen philosophischen Kommentar abzugeben. Er erübrigt sich."
Alan Watts, DIE RELIGION DER NICHT-RELIGION (1965)
"Auch der Denker hinter den Gedanken und der Fühlende hinter den Gefühlen sind nur Gedanken. (...) Sie brauchen sich auch nicht zu fragen, WER da beobachtet, weil diese Frage sich nur daraus
ergibt, dass nach den Regeln der Grammatik jedes Verb ein Subjekt haben muss. Es handelt sich also nicht um ein Naturgesetz, sondern um eine Grammatikregel. In der Natur ist Beobachten ohne einen
eigenständigen Beobachter möglich. (...) Nachdem Ihnen klar geworden ist, dass das Ich das Bewusstsein nicht transformieren und nicht zu einer Empfindung der Einheit von Individuum und Kosmos
gelangen kann, löst es sich einfach auf."
Alan Watts, ZEN - STILLE DES GEISTES (2000)
"Nahezu jeder, der über Erwachen und Erleuchtung spricht, spricht in Wahrheit gewissermaßen darüber, einfach die Augen zu öffnen - das hat mit Erkenntnis der Wahrheit gar nichts zu tun. Es
ist das, wovon alle mystischen Lehrer und Dichter wirklich reden. Sie haben einen flüchtigen Eindruck vom Integrierten Zustand erhascht, einen Vorgeschmack von Luzidität, und es erscheint ihnen
als die außergewöhnlichste Sache der Welt. In Wahrheit jedoch sollte es ihnen wie die gewöhnlichste Sache erscheinen. Es ist nur deshalb außergewöhnlich, weil wir so davon abgekapselt
sind."
Jed McKenna, SPIRITUELLE DISSONANZ (2007)
Mir ist dieser ganze esoterische Zirkus um die Erleuchtung schon peinlich, weil ich mich in der Gegenwart von Suchenden kaum traue zu verraten, dass ich nichts suche, weil es
mich gar nicht gibt. In meiner Mitte wohnt nur dieses grenzenlose Loch, um das herum all die Facetten einer Persönlichkeit angesiedelt sind, die "ich" sagen können und damit zugleich "du" sagen,
weil ALLES zum Du wird, wenn es kein absolutes Ich mehr im Zentrum der Wahrnehmung gibt. Darf ich bitte so ehrlich sein und mich als Suchloser outen? Wen macht es denn wütend, wenn jemand von
sich frei heraus behauptet, gefunden zu haben, besser noch: gefunden zu SEIN, während andere darunter leiden, verzweifelt zu suchen und festzuhalten, was dem Bewusstsein immer wieder entgleitet:
die Mitte, aus der alles herausströmt! Das Problem mit der Mitte entsteht erst dadurch, dass sie wie ein Objekt von einem Ich dingfest gemacht werden möchte, wodurch sie sich automatisch
außerhalb dieses Ichs befindet, von dem sie so gerne vereinnahmt werden möchte. Erst wenn das Ich in seine eigene leere Mitte heimkehrt, erledigt sich das Problem ganz von alleine, weil dann
keine zwanghafte Person mehr existiert, die etwas außerhalb ihrer selbst sucht.
Das Ende des Selbstgesprächs
Aber wie findet man zu dieser Mitte, wenn nicht durch Loslassen des Ichs, das immerzu mit sich selber spricht! Wenn dann das Selbstgespräch aufhört, kehrt das Bewusstsein zurück zur rein
körperlichen Empfindung der eigenen Anwesenheit und spürt sich von innen. Von innen bedeutet, in ewiger Bewegung zu bleiben, denn das leibhaftige Selbstwertgefühl entsteht durch den realen Körper
im realen Raum. Kein abgehobener Geist, der ein gedankliches Korsett um den Körper schnürt sondern ein ichfreier Körper, der sich selber wahrnimmt und sprechen lernt. Hier beginnt das tatsächlich
Nonduale ohne abgespaltene Transzendenz, die einen esoterischen Dualismus erzeugt, der lediglich pseudonondual verschleiert wird. Hier hat das Gehirn zu sich selber zurückgefunden und zelebriert
seine Selbstwahrnehmung als vergeistigte Materie. Die Materie steht jetzt endlich in keinem dialektischen Widerspruch zum sogenannten Geist sondern dient als dessen Erzeuger auf biochemischer
Basis. Wer hat etwas gegen die biochemische Basis seiner eigenen Existenz? Wer muss den Ursprung des Lebens verleugnen, indem er sein Ich krampfhaft zur Selbstüberwindung nötigt? Wer hat ein
Problem mit dem eigenen Ich, weil er es gar nicht von innen fühlt, sondern aus der Warte eines metaphysischen Über-ichs begutachtet? Wer spaltet sein Dasein in zwei Ich-Zustände und trickst diese
gegeneinander aus?
Nonverbal ist nicht nondual
Da ist das erste Ich, das sich als WORT durch das zweite Ich beobachtet, das sich hinter dem Wort versteckt. Da ist der Glaube daran, dass man sich hinter einem Wort irgendwie verstecken könne
und das Nonverbale zum Nondualen verklärt würde, indem man das Wort verleugnet. Aber das Wort "Ich" lässt sich nicht leugnen, sondern nur transformieren! Das spirituelle Problem ist ein
grammatisches! Wer kein spirituelles Problem haben möchte, der sollte sich mit der Grammatik der eigenen Wahrnehmung beschäftigen, denn das Problem liegt im Umgang mit den Wörtern, die den
Zustand des Ichs benennen. Solange das Ich zum Beispiel behauptet, vom "Ganzen" getrennt zu sein, spielt es zwei Wörter gegeneinander aus, die auch anders definiert werden können. Mit etwas Mut
lässt sich vom Ganzen behaupten, dass es das Ich beinhalte, so dass diesem Ich die Genehmigung erteilt wird, ins Ganze problemlos einzutauchen, ja, mit diesem Ganzen zu verschmelzen anstatt sich
getrennt zu fühlen. Und schon löst sich das anfängliche Problem in ganz wunderbares Wohlgefallen auf! Es war nicht das Ich selber, das wirklich entfremdet war, sondern der Irrglaube an eine
dualistische Definition des Wortes "Ich", durch die das eigentliche Gefühl für das Ich traumatisiert wurde. Anstatt SICH mit dem Ganzen verbunden zu fühlen, suggerierte die Traumatisierung, das
Ich sei das unauflösbare Problem, das dem Ganzen widerspreche.
Ich ist ein Du
Ein verzweifelter Prozess der Selbstzerfleischung begann, weil das so falsch definierte Ich an der Haut klebte und mit keiner noch so ausgeklügelten Meditationsmethode abgekratzt werden konnte.
Und je länger und hartnäckiger das entfremdete Ich sich seiner angedachten Befreiung verweigerte, desto tiefer brannte sich die Traumatisierung ins Fleisch ein und schürte den großen Verdacht,
dass das Ich selber das Übel sei, von dem man sich befreien müsse. Dabei war das Ich eigentlich frei - ihm wurden nur einige argwöhnische Attribute angehängt, die es versklavten und klein
hielten. Das großartig gefühlte großgeschriebene ICH kann seine eigene existenzielle Freiheit erst umfassend ertragen, wenn es vom ebenso großartig gefühlten Wort "BIN" durchtränkt ist und als
essenzielles Mantra ICH BIN aus der tiefsten, leeren Mitte des innersten Loches empfunden wird, wo das Bewusstsein zur reinen Bewusstheit mutiert. Jetzt wird verstanden, warum es keinen
Unterschied zwischen Ich und Du gibt, denn jetzt sagt das Ich sogar Du, wenn es mit sich selber redet. Die innerste Leere spricht das unendliche Leben und damit die ganze Welt als ein Du an, dem
endlich aus freiem Herzen begegnet werden kann.
Grundlose Inwesenheit
In dieser Begegnung kann die Vereinbarung getroffen werden, sich mit Namen anzusprechen und sich Geschichten zu erzählen. Es kann aber auch auf Geschichten und Namen verzichtet werden, weil
einfach nur "du" gesagt wird und "jetzt". Die Geschichte der Freundschaft beginnt immer mit dieser trivialen Mystik des Du im Jetzt. Aus der enttraumatisierten Selbstliebe der ichfreien Identität
resultiert direkt die Fähigkeit zur Umarmung der Welt. Liebe ist hier der natürliche Zustand. Es gibt keine Möglichkeit, sich außerhalb dieser Liebe zu befinden, sobald das Ich kein Problem mehr
mit sich selber kennt. Sobald es nicht länger in diese spirituelle Dissoziation flüchten braucht. Echte Spiritualität ist ab jetzt diese fluchtlose Fähigkeit, ganz und gar anwesend zu sein.
Grundlos inwesend. Ganz da. Im ewigen Du. Immer jetzt.
AUTOR: Tom de Toys, 2015
QUELLE: Erstveröffentlichung hier
Fortsetzung: www.neurosmog.de
Die Rechtschreibung wurde angepasst.