Das Schmerzempfinden verändert sich durch die Ichlosigkeit, weil keine Person mehr als innere Stimme herumjammert und sich nach einem anderen Zustand sehnt. Man ist einfach das, was man ist, und macht "das Beste" draus, wie man so sagt. Weil man lebt. Weil man da ist. Weil man atmet, redet, läuft und sitzt und fährt und tut, was möglich ist. Das Unmögliche als Utopie gibt es nicht. Das konkrete Leben IST eutopisch. Anders ist wohl kaum erklärbar, warum man trotz großer Schmerzen so lange noch arbeitsfähig bleibt, obwohl man längst schon unters Messer gehört.
Die Vollnarkose erzeugt einen künstlichen Zustand der totalen Verschwundenheit. Mit dem Restrisiko, nicht mehr oder in einer verfremdeten Verfassung aufzuwachen, muss sich der Patient arrangieren. Wer sich zu sehr auf das Identitätsgefühl einer Person fixiert, glaubt dabei an einen Tod oder zumindest den Übergang in eine andere Dimension, wenn diese Person nicht mehr aus der Operation zurückgeholt werden kann; denn dieser Glaube an ein Personsein geht unwillkürlich mit der Idee einer Seele einher, die sich vom Körperlichen loslösen ließe. Von diesem klassischen Dualismus vereinnahmt zu sein, erzeugt all die psychischen Interpretationen natürlicher Ereignisse, für die das (eigentlich frei fließende Denken) kategorische Gedanken entwickelt: die Angst vor dem Tod und die Hoffnung auf eine bessere Welt. Diese beiden Geisteskrankheiten des Egos (gemeint sind Angst & Hoffnung) waren jahrtausendelang der zivilisatorische Motor aller Kulturen. Aus ihnen konnte die Menschheit alle Erfindungen und Vermeidungen schöpfen, dank derer wir heute in einem technologisch hochgerüsteten, aber völlig entfremdeten Hochsicherheitstrakt leben, dessen Abschottung von der sogenannten Natur nach den anfänglichen Erfolgen zu bröckeln beginnt. Der Grund dafür ist ebenso simpel wie schockierend und wird uns in jedem Science-Fiction-Katastrophenfilm immer wieder vor Augen geführt, ohne dass wir es wahrhaben wollen: der geistige Käfig besteht aus demselben Stoff wie die Landschaft drumherum - die dualistische Abspaltung des Denkens und seiner Instrumente in ein gedankliches Selbstbewusstsein basiert auf einer urschizophrenen Fehlinterpretation des Lebens als eines Gegenstandes, der ein Gegenüber und ein Gegenteil hätte. Die brutale Wahrheit besteht aber in der trivialen Tatsache, dass der vermeintliche Gegenstand schlichtweg identisch ist mit der sinnlichen Wahrnehmung seiner selbst, soll heißen: es gibt keine vom Leben getrennte Person, die aus einem reingeistigen Cockpit heraus etwas Stoffliches drumherum erfährt, sondern das Leben höchstselbst nimmt sich in Form aller sinnlichen Erscheinungen wahr, ohne eine Bewusstseinszentrale in einer spekulativen windstillen Mitte des Orkans zu benötigen, um zur Ruhe zu kommen und mit einem göttlichen Sinn abgestempelt zu werden.
Diese religiöse Vergewaltigung des Seins ist eine Vermeidungstaktik aus dem Prinzip ANGST und gebiert all die HOFFNUNGEN auf eine "ewige Substanz", eine transzendentale Quelle, einen sicheren Hafen, der dem Wellengang des unkontrollierbaren Ozeans standhält. Aber nochmal: der Hafen ist selber aus Wellen gemacht, der Ozean ist selber die Urruhe und das Bewusstsein ist selber der kybernetische Orkan ohne windstille Mitte! Der gesamte Gegenstand "Realität" ist im Innersten hohl wie die Filmkulisse einer Westernstadt, ja sogar der flimmernde Horizont und der verheißungsvolle Himmel sind nur in die Leere gemalt. Alles ist in sich so unendlich leer, dass niemand nirgends nichts finden kann, was sich außerhalb der Welt befände. Niemand ist da, um an der Vorstellung von einer Welt, die jemand verlassen könnte, nachdem er sie betreten hätte, festzuhalten. Nirgends ist jemand, der behauptet, die Welt als etwas anderes als sich selbst wahrzunehmen. Nichts hält niemanden auf, um nirgends anzukommen. Die Welt ist eine unendliche Operation, die niemals schläft. Jede Vollnarkose ist ein erleuchteter Zustand totaler Wachheit aller Zellstrukturen in ihrem ureigensten Identischsein als das, was sie sind. Wo gedacht wird, passieren Gedanken. Wo nicht gedacht wird, bedarf es keiner Gedanken. Der narkotisierte Körper ist nichts anderes als das, was er ist. Der behandelte Mensch ist ein Teil der Handlung. Bett und Bewusstsein sind beide derselbe Buddha.
Autor: Tom de Toys, 7.1.2024, als Erstveröffentlichung hier!
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