Textauszüge auf Englisch in der Rubrik NEW GUESTS
Wenn die Illusion von Selbst-Gewahrsein verpufft, bleibt einzig und allein die natürliche Realität. Sie wird weder gefunden noch realisiert. Sie ist einfach das, was scheinbar passiert. "Man" ist quasi chancenlos, denn es bleibt nichts anderes übrig als das bloße und nackte "nicht-etwas-sein". Nicht-etwas erleidet sich selbst sozusagen. Es kann weder sich finden noch sich entkommen noch kann es jemals zu etwas anderem werden. Aber: Es gibt keine Sache, die nicht-etwas ist. Es ist einfach das, was scheinbar passiert. Dass wir hier sitzen und miteinander reden, ist die natürliche, unbekannte, formlose Realität, die nicht findbar ist, weil sie schon ist; die nicht realisierbar ist, weil es nichts gibt, das die Fähigkeit einer zusätzlichen Realisation hat.
Ja, aus dem Erleben von Trennung erwächst die Annahme, dass es einen Weg zurück gibt zur Ganzheit. Es erwächst die Annahme, dass es Schritte
und Stufen gibt, Methoden und Techniken. Solange dieses Selbst-Erleben zu existieren scheint, betet man "Dinge" an – Ideen und Vorstellungen, einen bestimmte Lebensweise, einen Priester,
einen Guru, das Geld oder Buddha oder Jesus am Kreuz. Die scheinbare Person hofft, dass diese Dinge Vermittler sind auf dem Weg zur persönlichen Erfüllung. Das ist die Illusion. Sie fußt auf dem Erleben, dass man "etwas" ist – ein Selbst, dass sich selbst erfährt und seiner Anwesenheit gewahr ist.
Ein Selbst, dass den Weg zurück finden muss zur Vollkommenheit. Was hier berichtet wird ist, dass niemand da ist. Nicht nur die Ideen und Vorstellungen, in denen die Person lebt,
sind illusionär. Das ganze Erleben hat keine Substanz.
All die Ideen davon, dass man sein wahres Selbst finden und kennen könnte, dass man Gott sehen oder gar erfahren könnte, sind Teil des
Traumes. Auch die Idee, dass man sich als göttliches Gewahrsein kennen und erfahren kann, ist Illusion. Weder gibt es ein Ich noch einen Gott noch irgendeine Art von Wissen.
Im Entpuppen der Illusion als Illusion verpufft das Erleben, getrennt zu sein, und automatisch auch die Idee, dass es eines Weges und einer
Herangehensweise bedarf. Das, was ist, kann nicht gewusst werden, weil es nicht-etwas ist. Das, was ist, kann nicht geliebt werden, weil es Liebe ist. Hingabe und Erkenntnis verschmelzen
zur natürlichen Realität, die Liebe und Selbstverständlichkeit ist. Die natürliche Realität ist genau das, was scheinbar passiert.
Auszug aus: "11 Sätze von Meister Eckhart – kommentiert von Andreas Müller" (2021)
F: Viele spirituelle Lehrer betonen die Wichtigkeit des Weges nach dem Erwachen bzw. nach der Erleuchtung. Ganz viele sind am Heilen und Auflösen, Vertiefen usw... Es scheint total wichtig zu sein. Viele betonen auch, dass man das bewusst machen müsse. Was denkst Du darüber?
A: Vermutlich hatten sie einen oder mehrere Einblicke und das, was dann gesagt wird, resultiert aus ihrem derzeitigen persönlichen Erleben. Das scheint daraus zu bestehen, auf einem Weg zu sein.
Es kann durchaus so sein, dass ein Einblick für Befreiung gehalten wird. Natürlich geht danach das Erleben eines Weges weiter, da das Erleben, "jemand" zu sein, zwar
"unterbrochen" wurde – was energetisch sehr eindrücklich, ernüchternd und intensiv sein kann – es aber auch nicht erloschen ist. Im Traum des Überlebenden, der sich nun als
"erwacht" erlebt, bleibt es natürlich wichtig, weiter an sich zu arbeiten. Ganz natürlicherweise ist das so, weil jetzt wieder jemand da ist, der das, was scheinbar passiert, erlebt und
dadurch als ungenügend erfährt. Da es nun um persönliche Erleuchtung geht, scheint die Arbeit an sich nun von besonderer Bedeutung zu sein.
F: Das entspricht vielem, was heute unter "spiritueller Lehrer" läuft.
A: Ja, natürlich. Befreiung ist das Ende des Erlebens, "jemand" zu sein, aber das scheinbare Leben geht scheinbar weiter – so menschlich und unmenschlich wie es eben scheinbar
weitergeht. Das Ende von "Ich bin" ist kein Stillstand – und doch ist es das Ende des "bewusst" Agierenden und damit das Ende von dem- oder derjenigen, der/die sich auf einem
Weg wähnt. Wieso sollte es denn nach dem Ende von "Ich bin" noch wichtiger sein, auf dem Weg zu bleiben, als vorher?! Diese Idee kommt aus einem Erleben von persönlicher
Erleuchtung, das im Erleben gekennzeichnet ist von "Rückfällen" – "Ich bin" ist ja wieder da! – und der Notwendigkeit weiterer Übungen und Methoden. Während dieses scheinbaren
Spiels wird aber auch an einen kruden Mix aus allerlei spirituellen Wahrheiten geglaubt. Da diese "Wahrheiten" und geglaubten Konzepte dem, was scheinbar passiert, nicht
standhalten, findet auch immer wieder eine demütige Neuausrichtung der eigenen Überzeugungen statt. Auch daher rührt die Idee des "Dranbleibens" und die Vorstellung, man müsste bewusst
darauf achten, nicht wieder einzuschlafen. Die meisten – wenn nicht alle – sogenannten spirituellen Lehrer erleben sich einfach als
"jemand". Es ist ganz natürlich, dass dem dann auch eine persönliche Botschaft entspringt, wie auch immer diese geartet ist. Es gibt keinen Weg. Was nach der Befreiung passiert,
hat keine Bedeutung, genauso wenig, wie es vorher von Bedeutung war.
F: Aber denkst Du nicht, dass diese Lehrer zumindest Einblicke hatten?
A: Doch, natürlich. Und doch haben sie diese Einblicke überlebt. Deshalb gibt es eine Lehre. Eine Lehre mit "richtig" und "falsch", einem Weg, einem Ziel und einem/einer,
der/die bewusst tun oder lassen kann. Einige dieser Ziele sind z.B. "bewusst zu vertiefen", "bewusst Traumata zu heilen" oder einfach "nicht wieder
einzuschlafen". All diese Dinge erscheinen aus einem persönlichen Erleben heraus. Natürlich geschieht scheinbare Vertiefung, natürlich können Traumata geheilt werden. Und doch spielt es
weder eine Rolle, ob und wie das erscheint, noch ist da jemand, der das bewusst tun könnte und/oder müsste. Erlebtes Bewusstsein ist der Traum. Es ist das scheinbare Ich, das in
persönlichem Bewusstsein lebt – quasi sich selbst und die Welt erlebt und kennt. Das ist der Traum.
F: Gibt es denn unpersönliches Bewusstsein?
A: So gesehen ist Bewusstsein immer unpersönlich. Niemand hat es, allerdings besteht es eben nur daraus, scheinbar bewusst zu sein. Bewusstsein ist aber illusionär und keine reale
Instanz. So gesehen ist Bewusstsein der Traum – allerdings ein Traum, aus dem niemand erwacht. "Ich" hat nämlich kein Bewusstsein, aus dem es zum Realen erwachen könnte, "Ich
bin" und Bewusstsein sind eins. Stirbt "Ich bin", stirbt das, was in Bewusstsein lebt.
F: Mein Lehrer hat mir stets geraten, bewusst zu bleiben.
A: Was er Dir damit geraten hat, ist, getrennt zu bleiben. "Du sollst bewusst sein" heißt, dass Du anwesend bleiben sollst und dass Du wählen kannst, "bewusst" zu sein – im
Gegensatz zu unbewusst und verträumt. Das ist der Traum und gleichzeitig die Hölle, denn um die Illusion, "bewusst zu sein", aufrecht zu erhalten, zumindest in Ansätzen, benötigt es ein
dauerndes Arbeiten daran. Und während "Ich bin" ständig versucht, "bewusst" zu sein, übersieht es die Irrelevanz und die Unnötigkeit seiner Anstrengungen, die nichts anderes
sind als zum Scheitern verurteilt. Das Dilemma ist, dass das Scheitern den Geschmack des persönlichen Versagens hinterlässt. "Ich bin" bleibt also zurück mit einem "Ich bin noch
nicht gut genug", was wiederum zu weiterem Suchen führt. Und genauso führt "Suchen" eben nicht zu "Finden", sondern zum Aufrechterhalten der Suche. Was für ein Witz. Im
persönlichen Lehrer-Schüler-Spiel wird jedoch genau das unterstützt: Die Notwendigkeit der Suche und des "Dranbleibens".
Auszug aus: "Freiheit – vom Leben und Sterben eines Phantoms" (2017)
Hinweis zur Orthografie: Hervorhebungen (farblich, fett, kursiv) in beiden Textauszügen geschahen mit Einverständnis des Autors.
Website:
thetimelesswonder.com/
Social Media Kanäle:
youtube.com/channel/UCUDHF50UGsuhC_oVDJXCC5Q
instagram.com/thetimelesswonder/
facebook.com/TheTimelessWonder/
twitter.com/wonder_timeless
Bücher:
bod.de/buchshop/catalogsearch/result/index/?q=Andreas+M%C3%BCller
Gastbeitrag von Christian Salvesen zur GENMANIPULATION