Gerade hier in Indien ist es deutlich zu spüren: Das vielleicht Intelligenteste, was die moderne Spiritualität zu bieten hat, ist den dummen Streit zu beenden, ob nun Friede oder Evolution wichtiger sei, Sein oder Werden, in sich ruhen oder über sich hinaus gehen.
Ja, es gibt die Flucht auf das Meditationskissen und in eine weltabgewandte Spiritualität, und was dabei herauskommen kann, sehen wir hier in Indien jeden Tag: Bittere Armut, zerfallene und zugemüllte Städte und kaum Fortschritt im Kampf für Gleichberechtigung.
Aber auch im Westen huldigen viele einer anti-evolutionären Pseudospiritualität, in der sie Worte wie Stille, Einfach-Sein, Friede und Entspannung hoch halten, weil sie mit der Komplexität ihrer Welt nicht mehr klar kommen. Oder weil sie die Heiligkeit des Buddhas und die fundamentale Dimension des Erwachens zur Leerheit missbrauchen, um ihre Faulheit zu rechtfertigen.
Und ja: Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die ihr spirituelles Hamsterrad mit Sprüchen über inneres Wachstum, Reifung und Höherentwicklung tapezieren und ihre Ellenbogenmentalität auch in der Spiritualität ausleben. Diejenigen also, die das Universum austricksen wollen, um es zur Erfüllungsmaschine für selbstbezogene Wünsche zu machen.
Und darum ist es wirklich eine intelligente Leistung moderner Spiritualität, wenn sie uns fühlen und erkennen lässt, welche unermessliche Ausdehnung der Friede in unserem Herz hat und uns im selben Moment dafür öffnet, den leidenschaftlichen Drang und die hingebungsvolle Sehnsucht für eine bessere Zukunft zu bemerken, welche aus diesem kosmischen Frieden aufsteigt.
Erwachen bedeutet im Kontext einer modernen Spiritualität, sich der Herausforderung zu stellen, dass Gott (also unsere eigene Natur) zweifach unendlich ist: Einmal als bodenloser Friede – von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und einmal als expansiver Sehnsuchtsdrang – in Zeit und Zukunft.
Rudolf Steiner fasste diese beiden Impulse als eine Non-Duale Bewegung so zusammen:
„Fühle Kraft des Weltenseins - des Weltendaseins Werdelust.“
Darum meditieren und beten wir auch hier jeden Tag in unserem Ashram in Indien – und dann schmieden wir Pläne, wie wir am nächsten Tag jemanden so unterstützen können, dass er den nächsten Schritt in seiner Biografie machen kann.
Danke an unsere Lehrer, die unser Denken befruchten und Herzen stetig erweitern, um Paradoxien zu umarmen:
Alles ist perfekt und alles muss besser werden.
AUTOR: Sebastian Gronbach
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