"Erleuchtung bedeutet nicht vorgezogenen Alzheimer. Vielmehr geht es um den Unterschied zwischen psychologischer Zeit und Uhrzeit. Die Uhr darf weiter ticken. Es ist die psychologische Zeit,
die im Satsang abgeschafft wird. Die gedankliche Beschäftigung mit Vergangenheit und Zukunft. Und sollen wir etwa nicht unsere Vergangenheit aufarbeiten? Und die Ursachen unserer Probleme oder
Konditionierungen erforschen? Nein, das brauchen wir nicht, sagen die Erwachten, Befreiten, Erleuchteten. Im Satsang stellt sich dieses Gefühl vollkommener Präsenz, in der nichts mehr nötig ist,
ganz von selbst ein. Das ist vermutlich die erstaunlichste und unverschämteste Botschaft der Erwachten und Erleuchteten: Es gibt kein Ich. Der Unterschied wird also gemacht zwischen dem Ich und
dem Selbst. Auch zwischen Ego und Selbst, wie es gelegentlich im Satsang heisst, oder zwischen Ego und Sein. Im Moment der Klarheit identifizieren wir uns nicht länger mit dem Körper und mit dem,
was wir Persönlichkeit genannt haben. Wir erkennen uns als reines Bewusstsein. Oder als Gewahrsein. Erleuchtung ist dem Ich nicht möglich. Erwachen ist ja die Erkenntnis, dass es kein Ich gibt.
Genau deshalb gibt es auch niemanden, der erwachen kann. In dem Moment, wo er erwacht, merkt er ja, dass es ihn gar nicht gegeben hat. Deshalb gibt es auch keinen Erleuchteten."
Dietmar Bittrich & Christian Salvesen, DIE ERLEUCHTETEN KOMMEN (2002)
Die entscheidende Fangfrage ist das "WER?", wenn all diese spirituellen Imperative wie Befehle auf einen Suchenden hernieder
prasseln: WER soll sich da denn von WEM disidentifizieren? Wenn sich das Ich als Illusion erweist, zeigt sich automatisch, dass auch sämtliche Befehle, die es ausüben sollte, um sich selbst zu
töten, nur Illusionen desselben Ichs waren. Niemand braucht nichts zu tun, um SICH FREI ZU FÜHLEN, da das Gefängnis lediglich eine Illusion des Ichs war, das glaubte, in Unkenntnis seines eigenen
(erhofften) "Wesens" zu sein, das in der Satsangszene als göttliches "DAS" bezeichnet wird. Das Leben ist sich seiner selbst bewusst. Ganz ohne ein Selbst, das das getrennt vom Leben
täte. JEDES "Selbst" ist nur sich seiner selbst bewusst gewordenes Leben. Das LEBEN als unendliches Fließen kennt kein Problem, geschweige denn ein "größtes aller Probleme", das
gelöst werden müsste. Das Leben HAT kein Problem, es IST nur das Leben - ohne ein (dualistisches) Gegenteil seiner selbst. Etwas "leereres" und "nichtseienderes" als das Leben selbst gibt es
nicht. Das Leben ist bereits sein eigener supramentaler Superlativ. Früher war Gott dieser Superlativ, abgesondert vom Leben in metaphysischen Sphären. Heute glaubt die (satirisch anmutende)
Satsangguruszene noch immer an einen neuen Superlativ: das Überich, das leer und erleuchtet sein soll. Diese erhoffte "externe Ichlosigkeit" ist der tragikomödiantische Anfang des
größten aller Probleme überhaupt: dass es schlichtweg niemanden gibt, um überhaupt Probleme zu haben. Keine Blume fragt sich, warum sie so wunderschön blüht und doch auch verwelkt. Sie BLÜHT UND
VERWELKT - das IST ihr Selbstbewusstsein (eine "schreckliche" Tatsache?): "Blühen" & "Welken"... Rilke sprach davon, dass jeder Engel schrecklich sei. Aber es ist eher umgekehrt: jeder
Schreck wird als engelhaft erkannt, wenn er sich in angstfreie Akzeptanz der eigenen Tatsächlichkeit verwandelt! Alles ist seine eigene Tatsächlichkeit. Alles: Vom unendlich Kleinsten bis
zum unendlich Größten. ALLES hat kein Problem "mit" sich selbst. Alles "hat" kein Gesicht im Spiegel. Alles IST einfach wesenlos (selbstlos) selbst. Alles ist Blume, die blüht und
welkt...
Alles geschieht automatisch. Das Leben benötigt kein extra Ich, um sich seiner selbst bewusst zu sein. Das ist das Seltsame an der Ichlosigkeit: vorher grübelt das Ich immerzu
darüber, wie toll und erstaunlich es wohl wäre, wenn es "selber von sich befreit" wäre. Wenn aber dann dieses Ich plötzlich futsch ist, gibt es auch kein "ichloses Ich" mehr,
das sich dadurch sagenhaft erhaben heilig stolz erleuchtet ichlos fühlt. Es bleibt nur die Wirklichkeit selber, die einfach dauernd "von selbst" geschieht, ohne ein inneres Selbst/Wesen zu haben.
All die Bewusstseinscoaches, Gurus und Satsanglehrer leben in der esoterischen Illusion eines ichlosen Ichs, das Ihnen Würde & Wissen verleihen soll und gegenüber den
Suchenden Vorteil verschafft hätte. Aber diese berühmten Weisheitsfanatiker sind leider nur Pappfiguren in dem Spirimarionettentheater. Eine total banale Erleuchtungskomödie. Aus Sicht der
Ichlosigkeit ist diese Spiriszene ein Slapstick und weiss es nicht einmal! Versuch einmal, nicht "durch Dein Ich" wahrzunehmen, sondern stattdessen mit jeder Faser bis in die
Fingerspitzen, als hättest du tausend Augen und Ohren und Nasen am ganzen Körper verteilt! Der Körper benötigt kein Ich, um DAS GANZE zu spüren, weil der Körper aus diesem Ganzen gemacht ist. Der
Körper schläft nie ein, er ist immer wach. Schlafen kann überhaupt nur das Ich. Der Körper ist ständig in Aktion, auch das Liegen, Ruhen, Entspannen ist eine Aktion. Alles geschieht automatisch.
Das Leben benötigt kein extra Ich, um sich seiner selbst bewusst zu sein.
ABSOLUTER AUSDRUCK DES SEINS (Yoga als transspirituelle Nullmeditation): Wer das dualistische Denken seines sogenannten "Egos" komplett überwindet, weil er bemerkt, daß das Ego
nur eine sprachliche Illusion neben allen anderen Metagedanken ist, fällt automatisch aus allen Systemen heraus: die Kultur, die Politik, die Religion, der Sport und die Persönlichkeit - die
gesamte Zivilisation löst sich in seinem Bewusstsein auf und hinterlässt das Gefühl, einfach gar nichts tun zu müssen, um irgendetwas zu erreichen, weil es NIEMANDEN und NICHTS gibt, um sich für
eine "absichtliche Aktion" zu entscheiden, die mehr will als nur aus reinem Selbstzweck sowieso zu geschehen. Das ist die uralte Botschaft von Yoga, die heutzutage im
Leistungsstress des Erleuchtungswahns und Gesundheitsfanatismus' verloren geht. Das scheinbar Paradoxe an Yoga als spiritueller (und sportlicher!) Disziplin ist die ÜBERWINDUNG
VON SPIRITUALITÄT DURCH YOGA selbst; denn die menschliche "Mitte" ist weder perfekter Körper (Fitness/Beauty) noch vollendeter Geist (Freiheit/Buddha), sondern genau umgekehrt: alle
körperlichen Reize und geistigen Regungen sind genauso wie Autos, Atome, Tiere, Blumen, Sterne und Galaxien nur unpersönlicher ABSOLUTER AUSDRUCK DES SEINS, das im Innersten wesenlos leer ist.
Solange ein Mensch von sich behauptet "ich bin ichlos", klammert sich eben genau dieses sein Ich an seine eigene Vorstellung von taoistisch "befreitem Bewusstsein", die der
psychotischen Dissoziation ähnelt. Das echte Tao ist jenes, das es nicht gibt - das Tao, das sich selber vergisst und dadurch kein Ich hinter dem Ich hinter dem Ich hinter dem Ich erzeugt
sondern unendlich stilles Tun aller Taten...
WER IDENTIFIZIERT SICH MIT WAS (der Körper als Tabu der Transzendenz): Der größte Denkfehler der Satsangszene besteht im Aberglaube, es gäbe ein "unberührtes Gewahrsein"
jenseits vom körperlich fixierten Ich, mit dem man sich statt des Ichs transzendent identifizieren könnte, wenn sich das Ich als Illusion erweist. "WER" sich dann als Erwachter mit dem
heiligen DAS als neues "Ich Bin" identifiziert, nämlich dasselbe trivial-neuronale Bewusstsein, das sich von seiner sinnlichen Identität befreit wähnt, ist dem Erleuchtungstourist egal -
Hauptsache, ER spürt die Stille und bildet sich ein, alles "losgelassen" zu haben (außer natürlich die Gnade des Gewahrseins der Stille). TOTALE DISIDENTIFIKATION im Sinne der Auflösung
der gesamten getrennten Wer-Perspektive geschieht dagegen nur wesentlich seltener und erzeugt eine tabulos sinnliche Rückkehr ins Alltägliche ohne eine Person, die sich "mit
etwas" (wie Stille, Leere oder innerem Frieden) identifiziert und dadurch als etwas (z.B. als Guru) empfindet. Solche ungewöhnlich gewöhnlichen Yogis meiden das spirituelle Rampenlicht der
Erleuchtungsshows, da sie tatsächlich als vollaut...OM...atische Unpersonen in sinnlicher Gegenwart unsichtbar enttabuisiert angek...OM...men sind.
Der spirituelle Sucher möchte sich immer mit irgendetwas identifizieren anstatt aus der Illusion zu erwachen, es gäbe da überhaupt jemand, der sich identifizieren kann. Erleuchtung besteht in
dieser letzten totalen Disidentifikation, die niemandem widerfährt, sondern das Resultat davon ist, daß sich der Sucher im ganzen realen Sein aufgelöst hat.
Solange es eine Person gibt, die sich selbst als ein Selbst-Bewusstsein empfindet, das sich mit irgendetwas identifizieren kann, wie z.B. mit seiner eigenen Leere, seinem Nichtsein oder der
Wesenlosigkeit allen Seins, ist die Dualität noch nicht überwunden. Die Identifikation mit einer gefühlten Nondualität ist dabei der absurdeste an Wahnsinn grenzende
Irrtum!
Die letzte, höchste, absolute oder sonstwie sensationelle Wahrheit kann nicht von einer Person erkannt werden, da dieses WER erst verschwinden muss, damit das befreite Bewusstsein mit allem
randvoll gefüllt werden kann, was wirklich sensationell wahr ist: nämlich das ganze unendliche Da-Sein!